Die Überschrift es gäbe keinen Fachkräftemangel in der Bauindustrie ist bewusst provokant gewählt, aber vor allem auch wahr.
Es liegt nicht daran, dass es keine Arbeitskräfte gibt, sondern vielmehr daran, dass die Ansprüche vieler Unternehmen zu hoch, unrealistisch und veraltet sind.
Natürlich möchte jeder den 35-jährigen Bauingenieur mit Master-Abschluss und am liebsten noch einer handwerklichen Ausbildun
g, der 20 Jahre Erfahrung mitbringt und genau die richtigen Projekte betreut hat.
Und es gibt diese Personen auch bestimmt noch, aber ob ausgerechnet die ausgerechnet jetzt offen für neue Herausforderungen sind und bei Ihnen um die Ecke wohnen, ist fraglich.
Statt auf den perfekten Kandidaten zu warten und ihre Positionen lange unbesetzt zu lassen, sollten die Unternehmen flexibler werden und sich ein Beispiel an der IT-Branche nehmen. Hier ist es deutlich weniger wichtig, ob ein Kandidat ein bestimmtes Studium abgeschlossen oder über eine konkrete Ausbildung verfügt. Es geht vielmehr um seine Fähigkeiten und Erfahrungen. Somit hat auch der Kandidat eine Chance, der nicht studiert hat, aber mit 12 Jahren begonnen hat sich das Programmieren selbst beizubringen.
Im Bau würde ein solcher Kandidat in den meisten Fällen nicht mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Die häufigsten Absagen, die wir erhalten, werden begründet mit
- zu wenig Erfahrung, wobei es hier teilweise an wenigen Monaten scheitert
- einem fehlenden Studium, wobei eine Techniker-Weiterbildung nicht gewertet wird
- einer falschen Ausbildung, auch wenn der Erfahrungsschatz immens ist.
Wir kennen natürlich die Problematik, dass vor allem bei der Zusammenarbeit mit öffentlichen Auftraggebern ein Studienabschluss der betreuenden Mitarbeiter vorgelegt werden muss, aber auch dies ist eine Vorschrift, die dringend geändert werden sollte.
Unternehmen, die sich bereit erklärt haben, auch Gespräche mit Kandidaten zu führen, die eher unkonventionelle und nicht gradlinige Lebensläufe haben, bereuen dies nur selten. Erfahrungsgemäß sind es besonders diese Kandidaten, die sich bewusst dafür entschieden haben, ihre Branche zu wechseln. Sie haben wahres Interesse an der Tätigkeit und nehmen dafür in Kauf sich stetig und mit mehr Aufwand weiterzubilden. Vielen Unternehmen ist nicht bewusst, wie fleißig und motiviert gerade diese Mitarbeiter sind und welche Bereicherung sie für ein Team und ein Projekt darstellen.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass viele Lebensläufe von vornherein abgeschmettert werden, weil die Kandidaten zu viele Arbeitgeberwechsel aufweisen. Selbstverständlich wird man skeptisch, wenn man es mit einem potenziellen Job-Hopper zu tun haben könnte, man sollte sich dennoch in manchen Fällen die Zeit nehmen die Gründe zu hinterfragen.
Möglicherweise lag es bei drei von vier Fällen nicht an der Person selbst, ein Großprojekt bei seinem letzten Arbeitgeber ist weggebrochen oder die Abteilung wurde geschlossen und er hätte umziehen müssen. Es gibt viele Gründe, die man sehr leicht nachprüfen kann, man muss sie sich aber vorher einmal anhören.
Solange die Ansprüche an Fachkräfte in der Bauindustrie weiterhin derart hoch und leider teilweise veraltet sind, ist der Begriff „Fachkräfte“-Mangel unpassend. Es gibt die Fachkräfte, es sind nur nicht die, die den Bilderbuch-Lebenslauf haben, den man noch vor zehn Jahren vergleichsweise leicht bekommen konnte.
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